Im Unterschied zu unseren bisher besprochenen Entscheidungen, in welchen datenschutzrechtswidrig erlangte Daten nicht verwertet wurden durften, kennen weder das Betriebsverfassungsgesetz noch die Zivilprozessordnung ein ausdrückliches prozessuales Verwendungsverbot für mitbestimmungswidrig erlangte Informationen. Dies führt dazu, dass vom Arbeitgeber in mitbestimmungswidriger Weise erhobene Informationen, soweit diese unstreitige Tatsachen darstellen, im Prozess verwertet werden können. In diesem Gedanken entschied auch das Arbeitsgericht Karlsruhe am 15.09.2015 – 2 Ca 122/15 in einem Streit zur Zeiterfassung eines Betriebsratsmitglieds. Der Kläger hatte seine Ausbildung im Betrieb der Beklagten absolviert und war anschließend im Rahmen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses als Produktionsmitarbeiter angestellt worden. In der Folgezeit wurde er in den bei der Beklagten gebildeten Betriebsrat gewählt. Zur Ausübung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben war er durch die Arbeitgeberin nach § 37 Abs. 2 BetrVG praktisch vollständig von der Erbringung seiner vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung freigestellt. Die Mitarbeiter der Beklagten verfügen über Ausweise, mit deren Hilfe sie eine elektronische Zugangskontrolle überschreiten können, wobei die Zutrittszeit erfasst wird. Kann die Arbeitszeit nicht, wie vorgesehen durch Betätigung eines Zeiterfassungsgeräts aufgezeichnet werden besteht die Möglichkeit, die Anwesenheitszeiten manuell durch eine in der Abteilung dafür zuständige Person eintragen zu lassen. Bei Mitgliedern des Betriebsrats wird dies durch das Betriebsratssekretariat erledigt. Nachdem der Vorsitzende des Betriebsrats über den Verdacht eines Arbeitszeitbetruges durch den Kläger informiert wurde, beantragte die Personalabteilung der Beklagten die Zustimmung des Betriebsrats zur Auswertung der Zugangs- und Zeiterfassungsdaten des Verdächtigen. Nach erteilter Zustimmung wurden die Zeitdaten unter Beteiligung des Betriebsratsvorsitzenden gesichtet. Ebenfalls wurde das Betriebsratssekretariat zu den Vorgängen vorgeladen und befragt. Nachdem der Kläger in einer Anhörung die Vorwürfe bestritt, beantragte die Beklagte beim Betriebsrat dessen Zustimmung nach § 103 BetrVG zu einer außerordentlichen Kündigung, welche bejaht wurde. Dagegen wendete sich der Kläger mit Kündigungsschutzklage, um die Rechtsunwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung gerichtlich feststellen zu lassen. Er bestreitet die Funktionstauglichkeit und die Kompatibilität der von der Beklagten verwendeten Zeiterfassungsgeräte. Außerdem formuliert er die Ansicht, dass die Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, die Daten der Zutrittskontrolle auszuwerten. Demzufolge sei es ihr auch verwehrt, die daraus gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich der Zutrittszeiten des Klägers in ihrem Sachvortrag zu verwerten.
Gericht: Klage unbegründet, Kündigung wirksam
Nach § 15 Abs. 1 KSchG ist die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur außerordentlichen Kündigung berechtigen und dass die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats erteilt wurde. Beide Punkte sieht das Gericht im vorliegenden Fall als gegeben an, weshalb die Kündigung wirksam ausgesprochen wurde. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Nach ständiger Rechtsprechung kommen zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers als Grund für eine solche außerordentliche Kündigung in Betracht (vgl. BAG v. 10.06.2010 – 2 AZR 541/09). Unabhängig von der Schadenshöhe wird dabei das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und –nehmer in einer Weise beschädigt, dass Ersterem ein Festhalten am Arbeitsverhältnis nicht mehr zuzumuten ist. Manipulationen bei der Zeiterfassung oder die Angabe falscher Arbeitszeiten können auch die fristlose Kündigung eines langjährig beschäftigten Betriebsratsmitglieds rechtfertigen. Das Aussprechen einer Abmahnung war hier ausnahmsweise entbehrlich, da es um eine Vielzahl schwerwiegender Pflichtverletzungen ging, deren Rechtswidrigkeit dem Kläger ohne weiteres erkennbar und bei denen eine Hinnahme des Verhaltens durch die Arbeitgeberin offensichtlich ausgeschlossen war.
Sind die Zeiterfassungen im Prozess verwertbar?
Fraglich ist jedoch, ob die Arbeitgeberin die Daten der Zeiterfassung in ihrem Sachvortrag vor Gericht verwerten durfte. Die Beklagte und der Betriebsrat hatten sich darauf verständigt, dass eine Auswertung der Zutrittsdaten zur Aufklärung des vorliegenden Falles zulässig war. Selbst wenn aber die Beklagte die Informationen über die Zutrittszeitpunkte des Klägers auf das Werksgelände der Beklagten in mitbestimmungswidriger Weise erlangt hätte, würde dies nicht dazu führen, dass die unstreitigen Tatsachen im vorliegenden Kündigungsschutzprozess nicht verwertet werden könnten. Allein die Verletzung eines Mitbestimmungstatbestandes oder die Nicht-Einhaltung einer Betriebsvereinbarung rechtfertigen es demnach nicht, einen entscheidungserheblichen, unstreitigen Sachvortrag der Parteien nicht zu berücksichtigen und im Ergebnis ein „Sachverhaltsverwertungsverbot“ anzuerkennen. Ein entsprechender Vortrag kann nicht ohne gesetzliche Grundlagen unverwertet gelassen werden. Ordnungsgemäß in den Prozess eingebrachte Tatsachen muss das Gericht bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigen. Eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für die Annahme eines Verwertungsverbotes mitbestimmungswidrig erlangter Informationen gibt es im deutschen Recht nicht.
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