Außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsvorsitzenden in Zusammenhang mit Betriebsratstätigkeit

Betriebsratsmitglieder unterliegen einem besonderen Kündigungsschutz. Will der Arbeitgeber diesem außerordentlich i.S.d. § 626 I BGB kündigen, so ist nach § 103 I BetrVG die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen. Wird keine Zustimmung erteilt, so ist die außerordentliche Kündigung unwirksam und das Arbeitsgericht kann diese gem. § 103 II 1 BetrVG auf Antrag des Arbeitgebers, sofern diese gerechtfertigt ist, ersetzen.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern (Az.: 2 TaBV 22/15) hatte in einem sog. Zustimmungsverfahren zwischen einem Mitarbeiter, gleichzeitig Betriebsratsmitglied, und der Arbeitgeberin zu entscheiden.

Sachverhalt

Die Arbeitgeberin, Betreiberin von mehreren Kliniken, möchte dem Arbeitnehmer, der in einer der Kliniken Psychologe und zugleich Betriebsratsvorsitzender ist, fristlos kündigen. Dazu beantragt sie beim beteiligten Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung, welche jedoch nicht innerhalb von drei Tagen erteilt wird. Nun verlangt sie die Ersetzung der Zustimmung durch das Gericht. Die Arbeitgeberin begründet ihren Antrag auf Kündigung auf drei Vorfälle.

  1. Zunächst auf den der Arbeitsverweigerung, da er aufgrund eines Betriebsratstermins eine Therapiesitzung nicht durchführen konnte. Diesen Vorfall meldete er seiner Arbeitgeberin jedoch rechtzeitig. Laut Arbeitgeberin sind gebuchte Termine als verbindliche Arbeitsanweisung zu verstehen. Trotz vorheriger Absage des Psychologen wegen notwendig zu erledigender Betriebsratstätigkeiten wurde ihm am besagten Tag eine weitere Therapiesitzung gebucht. Daraufhin protestierte dieser und nahm an diesem nicht Teil.
  2. Weiterhin stützte sie ihren Antrag auf den Vorwurf dieser habe sich unberechtigt Zugang zum Rechner des Chefarztes verschafft. Mit Hilfe eines Schlüssels, den der Betriebsrat auch besitzt, soll er sich Zugang in das Büro verschafft und sich in deren Computer eingeloggt haben. Er begründete das Vorgehen damit, dass der Drucker im Betriebsratsbüro nicht funktioniert habe, weshalb er in dieses Büro gegangen ist. Die Recherchen um diesen Vorgang ergaben jedoch keine Hinweise darauf, dass Netz, Computer oder Drucker Störungen unterlag. Ihm wird von der Arbeitgeberin versuchter Datendiebstahl vorgeworfen.
  3. Der dritte Vorwurf bezog sich auf die Veröffentlichung einer betriebsinternen Mail („S.bleibt!“). S. war ein weiteres Betriebsratsmitglied, welchem die Arbeitgeberin auch versucht hatte zu kündigen, jedoch nicht gelungen ist. In der besagten E-Mail kritisierte er weiterhin scharf das Arbeitgeberverhalten und schickte diese an den Gesamtbetriebsrat, an die Mitarbeiter und an verschiedene Arbeitnehmerorganisationen. Zudem hat er die Mail in einem Betriebsratsschaukasten vor Ort veröffentlicht. Hier läge ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht vor.

Das ArbG Stralsund hat den Antrag der Arbeitgeberin zurückgewiesen (Az.: 13 BV 3002/14).

Betriebsratstätigkeit versus Arbeitszeit

In der Regel finden Betriebsratstätigkeiten während den Arbeitszeiten statt (§ 30 (1) BetrVG). Dabei sind die Mitglieder des Betriebsrats gem. § 37 II BetrVG von ihrer beruflichen Tätigkeit zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Ob zur ordnungsgemäßen Erfüllung von Betriebsaufgaben eine Arbeitsbefreiung bzw. –versäumnis erforderlich ist, beurteilt sich danach, wie das Betriebsratsmitglied „bei gewissenhafter Überlegung und vernünftiger Würdigung aller Umstände“ die Befreiung „für notwendig halten durfte“, um diesen Aufgaben „gerecht zu werden“ (Richardi BetrVG/Thüsing BetrVG § 37 Rn. 25). Es ist somit weder die Auffassung des Arbeitgebers noch die des Betriebsratsmitglieds ausschlaggebend für die Beurteilung der Erforderlichkeit (a.a.O. Rn. 25). Allerdings kann bei gleichzeitiger Verletzung von Amtspflichten und arbeitsvertraglichen Pflichten bzw. der Vertragsverletzung aufgrund der Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeiten auch ein wichtiger Grund nach § 626 I BGB vorliegen (Görg ArbRAktuell 2016, 562).

Vorgang bei Anmeldung mit eigenem Nutzernamen

Die Betriebssysteme in den Unternehmen sind mittlerweile in der Regel so eingestellt, dass jeder Nutzer sich mit seinem Benutzernamen und Passwort einloggen muss, um in sein Konto zu gelangen. Andere Konten bleiben diesen ohne weitere Kenntnisse über die jeweiligen Zugangsdaten versperrt. Daher ist es grundsätzlich irrelevant von welchem PC aus die Anmeldung erfolgt.

Zur Entscheidung

Das LAG nahm zu den einzelnen Vorwürfen folgendermaßen Stellung:

  1. Es fehlt hier mit Bezug auf §§ 30 (1), 37 II BetrVG an einem pflichtwidrigen Verhalten. Der Betriebsratsvorsitzende hat sich aufgrund ordnungsgemäßer Anzeige nicht weisungswidrig verhalten, da er seinen Amtspflichten nachging (Görg ArbRAktuell 2016, 562). Daher besteht kein die Kündigung rechtfertigender Grund i.S.d. § 626 I BGB. Auch bedarf es keiner vorherigen Zustimmung seitens Arbeitgeber, wenn ein Betriebsratsmitglied seinen Arbeitsplatz (wie zuvor abgesprochen) für Betriebsratsarbeit, -tätigkeiten verlässt. Dies wäre unvereinbar mit der Unabhängigkeit des Betriebsratsamtes (Richardi BetrVG/Thüsing BetrVG § 37 Rn. 27).
  2. Für einen (versuchten) Datendiebstahl gibt es keine Belege, da ein Einloggen ins System mit Nutzerkennung und Passwort nur Zugriff auf eigene Daten gewährt und keinen Zugriff auf fremde Daten ermöglicht, unabhängig über welchen Computer eingeloggt wurde. Zudem fehlte es an einer verbindlichen Anweisung, dass sich jeder nur am eigenen PC einloggen dürfen. Allein die Tatsache einer Anmeldung über ein fremdes PC, genügt nicht für einen Tatverdacht.
  3. Laut Gericht ist auch kein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht erkennbar, da er weder personenbezogene Daten verbreitet habe noch habe die Kritik und die Verbreitung der Mail durch die Loyalitätspflicht gezogenen Grenzen überschritten. Die Verschwiegenheitspflicht bedarf keiner besonderen Vereinbarung. Die Pflicht Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu wahren ist aus der allgemeinen Rücksichtnahmepflicht aus § 241 II BGB abzuleiten (APS/Vossen BGB § 626 Rn. 271). Zudem ist „mit Rücksicht auf die besondere Konfliktsituation, in der sich das Betriebsratsmitglied ohnehin schon befindet, die außerordentliche Kündigung nur gerechtfertigt, wenn unter Anlegung eines besonders strengen Maßstabs das pflichtwidrige Verhalten auch als schwerer Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu werten ist. So auch für den Fall einer scharfen, zugespitzten Kritik des Vorsitzenden, die auch anderen vielen Personen zugänglich gemacht wurde“ (BeckRS 2016, 73743, 4. Leitsatz). Auch kann hierdurch kein Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflichten aus § 241 II BGB gezogen werden.

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hat unter den genannten Gründen die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen.

 

Haben Sie Fragen? Kontaktieren Sie gerne: RA Nicole Schmidt, LL.M.
Leistung: Beratung Datenschutzrecht

–––

Sie suchen einen erfahrenen Partner rund um das Thema Datenschutz? Setzen Sie sich mit uns in Verbindung.