Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte(EGMR) hat am 09.01.2018 darüber entschieden, dass Arbeitnehmer über eine verdeckte Videoüberwachung informiert werden sollen. Ansonsten kann dem Arbeitgeber die Verletzung der Privatsphäre vorgehalten werden.
Sachverhalt
Im Vorliegenden Fall geht es um die Beschwerde von fünf spanischen Kassiererinnen, die in einem Supermarkt in Spanien tätig sind. Der Arbeitgeber stellte Inventurdifferenzen zwischen den Lagerbeständen des Supermarktes und der Anzahl der verkauften Waren fest. Um die wirtschaftlichen Verluste zu untersuchen und zu beseitigen, installierte der Arbeitgeber Überwachungskameras, die sowohl aus sichtbaren als auch aus versteckten Kameras bestanden. Der Zweck der sichtbaren Kameras bestand darin, mögliche Kundendiebstähle aufzuzeichnen. Diese wurden auf die Ein- und Ausgänge des Supermarktes gerichtet. Die versteckten Kameras sollten mögliche Mitarbeiterdiebstähle aufzeichnen und kontrollieren. Zudem waren diese auf die Kassen gerichtet. Der Arbeitgeber hat alle Arbeitnehmer vorab über die Installation der sichtbaren Kameras unterrichtet. Weder sie noch der Personalausschuss des Unternehmens wurden über die versteckten Kameras informiert. Nach weiteren Inventurdifferenzen wurden alle verdächtigen Arbeitnehmer zu Einzelbesprechungen eingeladen. Die Beschwerdeführer wurden aus disziplinarischen Gründen entlassen: Sie waren auf Video ertappt worden und halfen Mitarbeitern und Kunden, Gegenstände zu stehlen. Die Kündigung enthielt Angaben zu den Aufnahmen der Videokameras. So wurden die Beschwerdeführer insbesondere dabei gefilmt, wie sie Gegenstände aus den Einkaufswagen von Kunden und Mitarbeitern einscannten und anschließend die Einkäufe stornierten.
Forderung der Beschwerdeführer
Im Rahmen des Verfahrens erhoben die Beschwerdeführer Einwände gegen die Verwendung der verdeckten Videoüberwachung und behaupteten, sie hätten ihr Recht auf Privatsphäre verletzt.
Vorinstanzen
Das zuständige Arbeitsgericht in Spanien hat zwei Urteile gegen die Beschwerdeführer erlassen, bei denen die Entlassungen als gerecht erklärt wurden. Der Hauptbeweis für ihre Entlassungen waren die Aufzeichnungen, die aus der verdeckten Überwachung hervorgingen, sowie die Zeugenaussagen von Kollegen, die wegen ihrer Beteiligung an den Diebstählen entlassen wurden. Das Arbeitsgericht befand in beiden Urteilen, dass die Verwendung verdeckter Videoüberwachung am Arbeitsplatz ohne vorherige Ankündigung den Artikel 20 des Arbeitsgesetzes (Estatuto de los Trabajadores) entsprochen habe. Dieser gestatte dem Arbeitgeber, Überwachungsmaßnahmen zu ergreifen, die er für angemessen hält. Jedoch müsse der Arbeitgeber darauf achten, dass er dabei die „Menschenwürde“ respektiere. Daraufhin haben die Kläger Berufung eingelegt. Allerdings hat auch das Oberste Gerichtshof von Katalonien die erstinstanzlichen Urteile bestätigt. Es verwies auf die Rechtsprechung und bestätigte die Feststellung des Arbeitsgerichts, dass die beklagte Partei zur Durchführung der verdeckten Videoüberwachung der Kassen berechtigt gewesen war. Eine verdeckte Videoüberwachung sei gerechtfertigt wenn (da ein begründeter Verdacht auf Diebstahl bestanden habe), dass angestrebte legitime Ziel angemessen, notwendig und verhältnismäßig ist.
Entscheidung des EGMR
Der Gerichtshof stellte fest, dass die gewonnenen visuellen Daten die Speicherung und Verarbeitung personenbezogener Daten betrafen, die eng mit der Privatsphäre von Einzelpersonen verknüpft sind. Dieses Material wurde dabei von mehreren Personen verarbeitet und geprüft, bevor die Antragsteller selbst über das Vorhandensein der Videoaufzeichnungen informiert wurden. Der Gerichtshof stellte ferner fest, dass die zum Zeitpunkt der Ereignisse geltenden Rechtsvorschriften spezifische Bestimmungen zum Schutz personenbezogener Daten enthielten. Nach Abschnitt 5 der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutzrichtlinie) hatten die Klägerinnen nämlich das Recht, „vorher und ausdrücklich informiert“ zu sein über „das Vorhandensein einer persönlichen Datensammlung oder über die Verarbeitung der Daten. Außerdem stellte der EGMR fest, dass der Arbeitgeber die Klägerinnen, wie von den innerstaatlichen Gerichten anerkannt, der Verpflichtung nicht nachgekommen ist, da die betroffenen Personen zur Erhebung und Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten belehrt werden müssen. Im Vorliegenden Fall kam der Gerichtshof zu dem Entschluss, dass die innerstaatlichen Gerichte kein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Recht der Beschwerdeführer(auf Achtung ihres Privatlebens nach Artikel 8 der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutzrichtlinie)) und dem Interesse des Arbeitgebers (am Schutz ihrer Eigentumsrechte) hergestellt hat. Somit lag aus Sicht des EGMR eine Verletzung der Privatsphäre vor.
Ergebnis
Der EGMR stellte in seinem Urteil eine Verletzung der Privatsphäre fest und sprach den Frauen eine Entschädigung von jeweils 4.000,00 € zuzüglich Verfahrenskosten zu. Der Gerichtshof betonte zudem, dass nicht nur die Videoaufnahmen, sondern auch andere Beweismittel wie Zeugenaussagen in ihrer Urteilsfindung herangezogen waren.