Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg gibt in seinem Urteil vom 28.07.2021 (4 Sa 68/20) wichtige Hinweise für den Arbeitgeber zur Beachtung des Datenschutzes im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM). Andernfalls könnte ein nicht korrekt durchgeführtes bEM-Verfahren dazu führen, dass die Kündigung rechtswidrig ist.
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen, krankheitsbedingten Kündigung, über Weiterbeschäftigung sowie über die Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Das Arbeitsgericht hielt die Kündigung anhand der Verhältnismäßigkeitsprüfung für unverhältnismäßig, da der Werksarzt dem Vorgesetzten eine Mitteilung über die Einschränkungen zukommen lassen habe, welche der Vorgesetzte mit Ausnahme einer Arbeitsplatzrotation auch umgesetzt habe. Ab diesem Zeitpunkt habe es keine nennenswerten Arbeitsunfähigkeitszeiten mehr gegeben.
Auch das vom Arbeitgeber durchgeführte bEM-Verfahren erweist sich als streitig, da die wesentlichen datenschutzrechtlichen Aspekte des Verfahrens nicht eingehalten worden sind. Das Schreiben vom Arbeitgeber wurde mit den Anlagen zusammen als Einwurf-Schreiben bei der Post aufgegeben. Aus dem Sendungsstatus ergibt sich die Zustellung des Schreibens, jedoch konnte ein Auslieferungsbeleg nicht vorgelegt werden. Die Klägerin behauptet, nicht richtig geladen worden zu sein, da diese den datenschutzrechtlichen Anforderungen nicht entspreche, die im bEM-Verfahren zu beachten seien.
Entscheidung
Das LAG hat die Berufung zurückgewiesen. Die Wirksamkeit einer auf häufige Kurzerkrankungen gestützten Kündigung setzt zunächst eine 3-Stufen-Prüfung voraus. Die Kündigung erweist sich jedenfalls im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung als nicht sozial gerechtfertigt. Sie sei unverhältnismäßig. Die Beklagte habe trotz Notwendigkeit der Durchführung eines bEM-Verfahrens ein solches nicht oder jedenfalls nicht ordnungsgemäß eingeleitet.
Dabei geht das LAG von den folgenden Grundsätzen aus. Die Durchführung des bEM sei keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. Dennoch konkretisiere § 84 Abs.2 SGB IX den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das bEM-Verfahren könne dazu beitragen, mildere Mittel als die Kündigung zu erkennen und zu entwickeln. Dabei sieht das LAG nicht davon ab, dass ein tatsächlich durchgeführtes bEM-Verfahren kein positives Ergebnis hätte erbringen können. Der Arbeitgeber habe die Pflicht, die objektive Nutzlosigkeit des bEM darzulegen. Hierbei müsse dieser vortragen, aus welchem Grund weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung möglich gewesen seien. Vereinfacht gesagt müsse der Arbeitgeber darlegen, weshalb ein bEM-Verfahren nicht dazu beitragen könne, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten.
Das bEM sei laut LAG ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener „Suchprozess“, welcher individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln solle. Dabei enthalte § 167 Abs.2 SGB IX weder konkrete Maßnahmen noch ein bestimmtes Verfahren. Jedoch lasse sich aus dem Gesetz Mindeststandards ableiten, wonach die gesetzlich vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen seien, um zusammen mit ihnen eine Klärung ernsthaft zu versuchen. Ziel des bEM sei es, herauszufinden, welche gesundheitliche Einschränkungen Grund für die bisherigen Ausfallzeiten waren und nach Möglichkeiten suchen, diese durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Kündigung zu vermeiden.
Der Arbeitgeber müsse bei der Durchführung eine bestehende betriebliche Interessenvertretung hinzuziehen. Dafür werde das Einverständnis des Arbeitnehmers vorausgesetzt. Hinzu kommt, dass es die Pflicht des Arbeitgebers sei, den Arbeitnehmer nach § 167 Abs.2 S.3 SGB IX auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hinzuweisen. Zu diesen Zielen gehöre die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden werden kann. Außerdem solle dem Arbeitnehmer verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann.
Weiterhin wird erfordert, dass der Arbeitnehmer auf die Datenerhebung und Datenverwendung hingewiesen wird, um klarzustellen, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis auch für das Verfahren erforderlich sind, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesundhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Auch hier ist es von besonderer Bedeutung, dass dem Arbeitnehmer mitgeteilt wird, welche Krankheitsdaten als sensible Daten im Sinne von Art. 9 Abs.1, 4 Nr.15 DSGVO erhoben und gespeichert und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Von einer ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM Verfahrens kann somit nur bei einer entsprechenden Unterrichtung des Arbeitnehmers ausgegangen sein.
Unabhängig davon, ob der Klägerin das Einladungsschreiben zugegangen sei oder nicht, erwiese sich laut LAG die beigefügte Unterrichtung über die Art und den Umfang der für das bEM erhobenen und verwendeten Daten als unzureichend.
Nach Ansicht des LAG müssen die beteiligten Akteure im möglichen Umfang Informationen über die Ausgangssituation haben. Daher sei das Erfassen dieser Ausgangssituation denknotwendig Bestandteil eines bEM. Hier gilt jedoch zu beachten, dass berechtigte Interessen des Beschäftigten gegen eine umfassende Informationssammlung sprechen können. Die Beachtung des Datenschutzes sei die Pflicht des Arbeitgebers, denn es ginge in der Regel um besondere Kategorien personenbezogener Daten im Sinne des Art. 9 DSGVO, insbesondere Gesundheitsdaten nach Art. 4 Nr. 15 DSGVO. In § 167 Abs.2 SGB IX sei diese zwar verklausuliert, aber dennoch ausdrücklich vorgeschrieben.
Ihre Notwendigkeit ergebe sich aus besonderem Spannungsfeld der in wesentlichen Teilen auch schon rechtlich geregelten Interessen, in dem das bEM-Verfahren notwendig angesiedelt ist. Dies seien insbesondere das Erkenntnisinteresse des Arbeitgebers an allen für die Leistungsfähigkeit des Beschäftigten relevanten Informationen und das Interesse des Beschäftigten am Erhalt seines Arbeitsplatzes auch bei gesundheitlicher Einschränkung. Ganz allgemein sei die Einhaltung datenschutzrechtlichen Anforderungen für eine vertrauensvolle und effektive Zusammenarbeit im Rahmen des bEM unerlässlich.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe könne schon eine ordnungsgemäße Einleitung des bEM-Verfahrens nicht festgestellt werden. Auf das ausdrückliche Bestreiten der Klägerin könne die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte den Zugang des Einladungsschreibens gemäß § 167 Abs.2 S.4 SGB IX nicht nachweisen. Die Beklagte habe lediglich einen Einlieferungsbeleg und den „Sendungsstatus“ der Deutschen Post AG vorgelegt. Trotz Hinweis mit Verfügung vom 27. Mai 2021 legte die Beklagte weiterhin keinen Auslieferungsbeleg vor. Dass nach Bekunden der Beklagten im Berufungstermin die Anfragefrist für den Erhalt eines Auslieferungsbelegs zum Zeitpunkt der gerichtlichen Verfügung bereits abgelaufen war, falle in ihre Risikosphäre.
Für den Absender streite beim Einwurfeinschreiben nach Vorlage des Einlieferungsbelegs zusammen mit der Reproduktion des Auslieferungsbelegs der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Sendung durch Einlegen in den Briefkasten bzw. das Postfach zugegangen sei (BGH 27. September 2019 – II ZR 299/15).
Hier bezieht sich das LAG auf das Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 17. September 2020 (3 Sa 38/19), welches darüber entschieden hat, dass der Sendungsstatus mit einem Auslieferungsbeleg nichts gemein hat. Dieser soll dem Absender die Möglichkeit bieten, unter Angabe der Lieferungsnummer den jeweiligen Status der Sendung bestätigt zu bekommen. Daraus gehe weder der Name des Zustellers hervor, noch beinhalte er eine technische Reproduktion einer Unterschrift des Zustellers. Die Aussagekraft des Sendungsstatus reiche nicht aus, um auf ihn den Anscheinsbeweis des Zugangs zu gründen.
Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass der Klägerin das Einladungsschreiben zugegangen ist, erweist sich auch die beigefügte Unterrichtung über die Art und den Umfang der für das bEM-Verfahren erhobenen und verwendeten Daten als unzureichend.
Organisation des Datenschutzes
Nach Ansicht des LAG sind bei der Organisation des Datenschutzes folgende Leitlinien einzuhalten: Der Arbeitgeber und jede andere Person, die Personalentscheidungen treffen kann, darf ohne ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen Zugang nur zu solchen Daten haben, die für den Nachweis der Erfüllung der Pflicht zum bEM erforderlich sind oder ohne die er seine Zustimmung zu geplanten Maßnahmen nicht erteilen kann. Diagnosen und ähnlich sensible Daten dürfen dem Arbeitgeber ohne ausdrückliche schriftliche Zustimmung des Betroffenen nicht zugänglich sein.
Die Beklagte hat im vorliegenden Fall in der „Datenschutzerklärung“ versucht, von der Klägerin eine Einwilligung nicht nur zur „Erhebung“ und „Nutzung“ von Gesundheitsdaten zu erlangen, sondern auch zur „Bekanntmachung“ dieser Daten unter anderen gegenüber dem „Vorgesetzten“ und der „Standortleitung“. Die Einwilligung in die Bekanntgabe von Gesundheitsdaten gegenüber dem Vorgesetzten mag man vielleicht einschränkend auslegen können, dass dies nur gelten solle, wenn der Vorgesetzte als Teilnehmer des betrieblichen Eingliederungsteams herangezogen wurde. Im beigefügten Antwortschreiben hätte die Klägerin eine solche Beteiligung des Vorgesetzten ankreuzen können.
Für eine „Bekanntmachung“ jedenfalls aller offenbarter Gesundheitsdaten (insb. Diagnosen) gegenüber der Standortleitung bestehe dagegen kein nachvollziehbarer Grund. Hier reiche es aus, wenn der Arbeitgeber weiß, auf welche Einschränkungen er bei einer etwa gebotenen Umgestaltung von Arbeitsplätzen zu achten hat. Einer Kenntnis, auf welcher Diagnose diese Einschränkung beruht, bedarf er nicht.
Es sei zwar nicht ausgeschlossen, dass ein Arbeitnehmer auch dem nicht im bEM-Verfahren beteiligten Standortleiter freiwillig seine Gesundheitsdaten überlassen möchte. Dann müsse dem Arbeitnehmer aber in besonderem Maße deutlich gemacht werden, dass dieser Teil der Einwilligung nur freiwillig ist, weil sie für die Zwecke der Durchführung des bEM nicht erforderlich ist. Das sei vorliegend nicht der Fall.
Vorliegend könne nicht ausgeschlossen werden, dass bei erfolgter bzw. ordnungsgemäß erfolgter Unterrichtung über das bEM-Verfahren die Klägerin an einem solchen teilgenommen hätte und im Rahmen eines solchen bEM Möglichkeiten einer anderen leidensgerechten Beschäftigung gefunden werden könne.
Konsequenzen für Unternehmen
Der Fall verdeutlicht, dass das bEM-Verfahren eine Fülle von datenschutzrechtlichen Fallen enthält und Datenschutz von besonderer Bedeutung ist. Dem Arbeitgeber stehen wichtige Pflichten zu, die er im Rahmen eines bEM-Verfahren unbedingt zu beachten hat, da daran ansonsten ein gut gemeintes bEM-Verfahren und damit die Kündigung scheitern kann. Auch der Beweis des Zugangs von Einwurf-Einschreiben kann nur dadurch geführt werden, dass eine Reproduktion des Auslieferungsbelegs vorgelegt wird. Nur aus dieser sind Namen und Uhrzeit des Zustellers zu erkennen. Der Sendungsstatus kann nicht beweisen, wer wann ein Schreiben übergeben hat. Somit ist bereits in der Vorbereitungsphase zu größtmöglicher Sorgfalt zu raten, damit ein bEM-Verfahren nicht an solchen Formalitäten scheitert. Dies gilt insbesondere für die datenschutzrechtliche Unterrichtung des betroffenen Arbeitnehmers.