Kündigung wegen übermäßiger Neugier

In einem Rechtsstreit gestatte das Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg die außerordentliche Kündigung einer Mitarbeiterin, die aus reiner Neugier systematisch und in erheblicher Zahl Meldedaten über Personen ihres Bekanntenkreises abrief. Der Klägerin waren zuvor bereits zwei außerordentliche Kündigungen durch ihren Arbeitgeber, das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten der Stadt Berlin ausgesprochen worden. Ihr wurde vorgeworfen ohne sachlich begründetes Zugriffsrecht Meldedaten über Verwandte und Bekannte abgerufen und dadurch im Selbstinteresse willkürlich gehandelt zu haben. Der Arbeitgeber erhob den Vorwurf, sie habe gegen ihre Verpflichtung zur datenschutzrechtlichen Geheimhaltung nach dem Berliner Datenschutzgesetz verstoßen, indem sie mehrfach unbefugt Melderegisterdatensätze aufgerufen hatte und in mindestens einem Fall sogar Informationen, die sie aus dem Melderegister erlangt hatte, an einen Dritten zur Verwendung in einer nachehelichen Unterhaltsstreitigkeit weitergegeben habe. Die Klägerin bestätigte in einem Schreiben die Ausführungen, entschuldigte sich für dieses Verhalten und versprach in Zukunft keine unautorisierten Datenabfragen mehr vorzunehmen. Nichtsdestotrotz erging die außerordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber, gegen welche die Klägerin vor dem Arbeitsgericht Berlin klagte.

Vorinstanz: Kündigung nicht gerechtfertigt

Das Arbeitsgericht gab der Klage in einem ersten Urteil statt und erklärte die außerordentliche Kündigung gegen die Klägerin für nicht gerechtfertigt. Die Klägerin habe nicht mit krimineller Energie, sondern immer nur bezogen auf fünf Personen ihres privaten Umfeldes gegen die Vorschriften verstoßen. Eine Entbehrlichkeit der Abmahnung sei aufgrund der Geringfügigkeit dieses Fehlverhaltens nicht festzustellen. Das beklagte Land ging im Anschluss an dieses Urteil in Berufung, welche jedoch vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg aus ähnlichen Gründen zurückgewiesen wurde. Des Weiteren verneinte das LAG  auch eine Wirksamkeit der Kündigung unter dem Aspekt des fehlerhaften Erfassens der Arbeitszeit. Auch wenn die Klägerin die Abfragen während der Arbeitszeit gemacht habe, habe es sich nur um wenige Sekunden gehandelt. Dies sei als private Verrichtung während der Arbeitszeit hinzunehmen, jedenfalls sei eine Abmahnung auch dadurch nicht entbehrlich. Die gegen die Entscheidung eingelegte Beschwerde bezüglich der Nichtzulassung der Revision wurde vom BAG abgelehnt.

Einige Monate versetzt wurde dem beklagten Bezirksamt eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft gegen die Klägerin zugetragen. Danach erfolgten im relevanten Zeitraum nicht nur vereinzelte, sondern hunderte unautorisierte Abrufe aus dem Melderegister. Als Folge dessen wurde das Arbeitsverhältnis, aus verhaltensbedingten Gründen, erneut fristlos gekündigt. Auf dieses Vorgehen folgte eine weitere Kündigung aufgrund der zuvor ergangenen strafrechtlichen Verurteilung der Klägerin.

Der Klägerin wird durch ihren Arbeitgeber darüber hinaus vorgeworfen in einer Anhörung nach Bekanntwerden der Vorwürfe getäuscht zu haben, was auch ihren Ausführungen im Entschuldigungsschreiben im Nachhinein den Wahrheitsgehalt abspreche. Das beklagte Land beantragte deshalb das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragte hingegen die Berufung zurückzuweisen und verteidigte die angefochtene Entscheidung damit, dass sie sich schon vor Beginn des Vorprozesses einsichtsfähig gezeigt und versichert habe, unberechtigte Abfragen nicht mehr durchzuführen.

LAG sieht wesentliche Veränderung des Sachverhalts

Das LAG stellte fest, dass die neue Kündigung nicht auf Gründe gestützt werden kann, die der Arbeitgeber schon zur Begründung einer vorhergehenden Kündigung vorgebracht hat und die im Vorverfahren materiell geprüft und abgelehnt worden waren. Eine Präklusionswirkung entfalte die Entscheidung über die frühere Kündigung allerdings nur bei identischem Kündigungssachverhalt. Hätte sich dieser wesentlich geändert, dürfe der Arbeitgeber ein weiteres Mal kündigen. Ein anderer Kündigungssachverhalt läge aber nur vor, wenn sich die tatsächlichen Umstände, aus denen der Arbeitgeber den Kündigungsgrund ableite, wesentlich verändert hätten.

Auch wenn es sich immer noch um den Komplex unberechtigter Abfragen von Daten aus dem Melderegister handele, hätten die vorangegangenen Kündigungen andere Schwerpunkte gehabt. Diese seien wesentlich im Zusammenhang mit der Täuschung ausgesprochen worden. Erst im Zusammenhang mit der Anklageschrift im Strafverfahren, die im Vorprozess noch keine Rolle spielte, erfuhr das beklagte Land, dass die Klägerin entgegen ihren Behauptungen noch deutlich häufiger auf die Daten zugegriffen habe. Unter Berücksichtigung dieser neuen Erkenntnisse bekam auch das Entschuldigungsschreiben der Klägerin eine ganz andere Bedeutung. Während es ohne diese Erkenntnis so wirkte, als ob die Klägerin wirklich „reinen Tisch“ machen wollte, sei nun deutlich geworden, dass sie sich nicht ehrlich entschuldigen wollte, sondern ganz einseitig nur sie entlastende Tatsachen aufgeführt hatte. Damit sei deutlich geworden, dass die Entschuldigung der Klägerin ein reines Lippenbekenntnis war und die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich zukünftig weiter in datenschutzrechtlich problematischer und strafrechtlich relevanter Weise Verhalten werde, durch ihr Schreiben nicht reduziert wurde. Die erneute Kündigung wäre hingegen wesentlich mit der strafrechtlichen Verurteilung der Klägerin begründet. Gerade bei einem Arbeitsverhältnis im Öffentlichen Dienst käme einer strafrechtlichen Verurteilung eine besondere Bedeutung zu. Dem entsprechend ist in dem Kündigungsschreiben ausgeführt, dass diese „wegen [der] strafrechtlichen Verurteilung vor dem Amtsgericht“ und nicht nur wegen der zugrundeliegenden Taten erfolgt sei. Der Sachverhalt habe sich also gegenüber dem Vorprozess wesentlich geändert und die Interessen des beklagten Landes an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwägen.

 

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Leistung: Beratung Datenschutzrecht

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